„Ich glaube, dass Medjugorje eine starke Kraftquelle ist, die da entzündet worden ist“
Interview Bischof Klaus Küng
„Ich glaube, dass Medjugorje eine starke Kraftquelle ist, die da entzündet worden ist“
Interview Bischof Klaus Küng
Der österreichische Bischof DDr. Klaus Küng verbrachte, wie schon im Vorjahr, den Jahreswechsel mit einer Pilgergruppe aus Wien am Wallfahrtsort Medjugorje. Bischof Küng leitete von 1989 bis 2004 die Diözese Feldkirch und von 2004 bis 2018 die Diözese St. Pölten und ist Mitglied der vatikanischen Kongregation für den Klerus und Konsultor des Päpstlichen Rates für die Familie. Das Interview mit Bischof Küng führte Dragan Soldo.
Lieber Herr Bischof, Sie sind mit einer Pilgergruppe nach Medjugorje gereist, um das Neue Jahr, wie schon im vergangenen Jahr, am herzegowinischen Wallfahrtsort zu beginnen. Könnten Sie uns etwas über Ihre Beziehung zu Medjugorje sagen?
Ich bin das erste Mal im vergangenen Jahr nach Medjugorje gekommen. Von Anfang an habe ich die Vorgänge in Medjugorje mitverfolgt. Es gab immer wieder Gläubige, die zu mir kamen, noch bevor ich Bischof wurde, und die in Medjugorje mit einem tieferen religiösen Leben neu begonnen haben. Es hat mich beeindruckt, wie dadurch bei vielen Personen eine echte Erneuerung stattgefunden hat. Ich selbst bin in all den Jahren nicht nach Medjugorje gekommen, weil das zunächst auch nicht vorgesehen war.
Wie haben Sie die Wallfahrt nach Medjugorje persönlich erlebt?
Mich hat eigentlich schon die Gruppe beeindruckt, mit der ich gekommen bin. Bei der Hinfahrt haben sie alle einzeln ihre Beweggründe erzählt, warum sie nach Medjugorje pilgern. Der größere Teil von ihnen waren Menschen, die in Medjugorje wirklich begonnen haben, den Glauben tiefer zu leben. Es waren auch mehrere Menschen dabei, die Wunden im Herzen tragen, beispielsweise wegen zerbrochener Familien. Ich habe auch bei der Fahrt schon bemerkt und dann hier miterlebt, wie viel gebetet wird. Das Gebet war in einer ganz besonderen Atmosphäre, und die Eucharistiefeier wird besonders gepflegt und geliebt. Letztes Jahr hatte ich eine ähnliche Schwierigkeit wie gestern. Ich bin zum Beichtstuhl gekommen und bin nicht mehr herausgekommen. Ich habe alle möglichen Situationen in kurzer Zeit erlebt: persönliche Krisen, Schwierigkeiten unterschiedlichster Art, auch Menschen, die eigentlich gar nicht mit dem Verlangen gekommen sind, das Bußsakrament und seine Freiheit zu erfahren. Das hat mich sehr beeindruckt. In der Gruppe war es letztes Jahr und heuer auch sichtbar, dass die Menschen sehr froh geworden sind. Wir sind auf den Erscheinungsberg gegangen, ich habe die verschiedenen Geheimnisse des Rosenkranzes ein wenig kommentiert, und alle waren sehr offen. Damit verbunden ist bei vielen auch der Wunsch, über persönliche Fragen, Anliegen und Probleme zu sprechen. Es hat mich im vergangenen Jahr und jetzt sehr gefreut, wie viele junge Menschen nach Medjugorje kommen und einen starken Impuls dazu haben. Bei vielen führt es zu einer wirklichen Lebensveränderung, hier zu sein.
Sie sprechen über die Veränderungen und die Freude, die die Menschen erleben. Was, meinen Sie, ist der Grund dafür? Ist es die Beichte, die Eucharistie, das Gebet, die Anbetung? Was führt dazu, dass die Menschen diese Freude erleben?
Ich glaube, es sind die wesentlichen Punkte, die auch unabhängig von Medjugorje dazu führen würden. Meine Überzeugung in Bezug auf Mitteleuropa und auch auf die ganze Welt ist es, dass die Grundlagen dem Einzelnen nahegebracht werden sollen. Der erste Punkt ist das Gebet, viel Rosenkranz, aber auch die Anbetung. Ohne Gebet gibt es kein religiöses Leben. Gerade heute stehen viele Leute unter Druck, durch die Arbeit oder durch die Berieselung durch die Medien, durch verschiedene Faktoren, die alle dazu führen, dass man nicht nachdenken kann. Genau da ist das Gebet die Grundlage, um still zu werden, um sich Gott zuzuwenden, um von sich selbst wegzukommen und den Fokus darauf zu legen, was wirklich wichtig ist.
Der zweite Punkt, der auch von der Muttergottes hier betont wird, ist die Eucharistie. Die Entdeckung: „Christus ist unter uns!“. Das Geheimnis der Erlösung wird vergegenwärtigt. Jeder kann kommen und sich mit ihm vereinen und empfängt dort das Brot des Lebens. Wie eine Quelle, aus der man schöpfen kann. Das ist eine zentrale Frage auch für die Situation in Mitteleuropa, wo es einen Priestermangel gibt. Für viele ist es auch schwierig, eine heilige Messe zu finden. Aber meiner Beobachtung nach ist es wie folgt: Wenn jemand entdeckt, was die Eucharistie ist, dann nimmt er das Auto und fährt dorthin, wo es eine Messe gibt. Maria führt immer zu Jesus, und das sieht man auch in Medjugorje.
Der dritte Punkt, der gerade in Medjugorje besonders auffällt, ist das Bußsakrament. Ich bin überzeugt davon, dass dem Bußsakrament für die Erneuerung der Kirche eine zentrale Rolle zukommt. Damit verbindet sich die Erfahrung, dass Gott ein Vater ist, der verzeiht. Gleichzeitig setzt das voraus, dass man über das eigene Leben nachdenkt, sich öffnet und aufrichtig bekennt, wo der Schuh drückt. Viele Menschen tragen tiefe Wunden in ihrem Herzen, und das ist der Weg zur Heilung. Für Medjugorje ist auch der Aufruf zum Fasten charakteristisch. Das ist ein wichtiger Aspekt, der darauf hinweist, dass wir uns auch überwinden müssen. Eine große Versuchung der Konsumgesellschaft ist, das Kreuz wegzustellen. Nach dem Konzil haben viele vom Altar das Kreuz weggenommen. Inzwischen neigt man dazu, ein Christentum ohne Kreuz zu versuchen, besonders in unserer Konsumgesellschaft.
Aber durch das Kreuz empfangen wir Segen, finden den Weg zum Leben. Deshalb ist das Fasten auch ein Ansatzpunkt, der zu einem gezielten Streben führt, als Christ zu leben. Jeder muss entdecken, dass es gewisse Bereiche gibt, in denen es gut ist zu fasten. Dazu zählt zum Beispiel auch der Gebrauch von Internet oder von gewissen elektronischen Medien.
Was sicherlich auch für Medjugorje kennzeichnend ist, ist die Liebe zu Maria, die immer den Weg absichert beziehungsweise auf den Weg zu Jesus zurückführt. Das ist ganz zentral.
Diese fünf Punkte, die auch von der Muttergottes empfohlen werden, die Bausteine, scheinen mir wesentlich für die Erneuerung die Kirche zu sein. Es gibt vielleicht noch zwei Aspekte, die dazugehören. Das Eine ist das Verlangen, das auch hier entsteht, den Glauben überhaupt kennenzulernen. Der Glaube ist ein Schatz, auch für den Menschen heute. Der zweite Aspekt, der auch zu diesem fünften Punkt gehört, ist, dass jeder Christ zum Missionar wird, der diesen Schatz des Glaubens erkennt. Und welche Hilfe die Vergebung ist, die von Christus kommt! Die Kirche entfaltet sich heute in dieser jetzigen Situation nicht nur durch die Predigt des Priesters, sondern besonders auch durch das Beispiel des Vaters, der Mutter und manchmal auch der Kinder für die Eltern. In vielen Betrieben kann so der Glaube wieder Einzug halten, indem Einzelne das Licht anzünden. Ich glaube, dass Medjugorje eine starke Kraftquelle ist, die da entzündet worden und entstanden ist und die auch eine Hoffnung darstellt, die für die Familien dringend notwendig ist.
Könnten Sie auch etwas über diese Spiritualität sagen, die hier im Dreieck aus Kirche, Erscheinungsberg und Kreuzberg symbolisiert wird?
Ich glaube, das sind die Grundlagen des Christseins. Der Rosenkranz wird andächtig und bewusst gebetet, er ist auch eine Art, wie man den Blick auf Christus, auf Maria und ihre Geheimnisse und auch auf das eigene Leben richtet. In Maria begann die Wende in der Menschheitsgeschichte. Durch die Menschwerdung und die Erlösung, die Christi im Leiden und Sterben am Kreuz und in seiner Auferstehung vollbracht hat, öffnet sich ein Weg, dass auch an jedem Menschen etwas Ähnliches passieren kann. Durch die Taufe werden wir mit Christus und der Erlösung verbunden, es kommt zur Reinigung und zur Entfernung der Sünden. Durch die Firmung empfangen wir den Beistand des Heiligen Geistes, um Christus zu verstehen und auch im Leben das Verhalten entsprechend anzupassen. Das schafft die Voraussetzung dafür, dass wir Christus empfangen dürfen. Maria wurde von Anfang an von der Sünde bewahrt, daran sehen wir, was die Erlösung vorausgewirkt hat. Bei uns bewirkt das die Taufe. Maria ist als Mutter der Barmherzigkeit, als Mutter Jesu Christi auch unsere Mutter. Sie ist die große Ermutigung, um diesen Weg des Empfangens des Herrn und seine Aufnahme in unserem Herzen zu fördern. Sie lehrt uns, verbunden mit Jesus zu leben. Sie hat ihn begleitet, sowohl in Zeiten der Wunder als auch in Zeiten, in denen die Auseinandersetzungen heftiger wurden, und dann steht sie am Fuße des Kreuzes.
So lebt in Medjugorje das, was die Kirche lehrt, und das, was sie mit dem Rosenkranz in wunderbarer Weise dem Einzelnen näherbringt. Der Kreuzweg steht zentral für die Erlösung der ganzen Welt, aber auch jedes Einzelnen. Dieses Nachdenken über die eigentliche Bedeutung des Leidens und Sterbens Jesu ist zentral für den Glauben. Die Verrücktheit Gottes, der seinen Sohn sendet, damit er Mensch wird und leiden kann, zeigt sichtbar die unendlich große Liebe Gottes, der uns bis zum Äußersten, bis zur Hingabe liebt. Der Kreuzweg macht einerseits die große Last der Sünde bewusst, andererseits die unendlich große Liebe Jesu, der „Ja“ zum Leiden sagt, aber auch als Mensch Angst empfindet. Der Kreuzweg ist eine Einladung, auf seinen Spuren zu gehen und zu entdecken, dass die tiefere Bedeutung unseres Lebens auch das Leiden ist. Alles endet mit der Auferstehung.
Die Pilger sprechen häufig davon, dass ihnen das abendliche Gebetsprogramm, das manchmal drei bis vier Stunden dauert, nicht zu lange dauert, obwohl ihnen zuhause ein kürzeres Programm anstrengender oder langweiliger erscheint.
Das ist ein interessantes psychologisches Phänomen. Ich habe das immer wieder beobachtet. Wenn es zu einer wirklichen Begegnung mit Gott kommt, dann wird die Zeit sehr kurz. Und dann wird es nie zu lange. Ich glaube, das ist irgendwo des Rätsels Lösung. Die Atmosphäre des Gebetes und einer lebendigen Begegnung mit Gott sowie auch die Gemeinschaft sind wichtige Punkte.
Wie stehen Sie zur universellen Kirche, die hier in Medjugorje gelebt wird, mit Menschen aus allen Ländern, Menschen jeder Sprache und jeden Alters?
Mir hat das immer eine ganz große Freude bereitet, besonders in Medjugorje, aber auch an anderen Orten. Es ist einfach diese Erfahrung, dass dort, wo der Glaube erwacht, eine tiefe Verbundenheit mit unterschiedlichsten Personen entsteht, mit alten und jungen Leuten aus verschiedenen Nationen und mit verschiedenen Ausbildungshintergründen.
Haben Sie einen besonderen Wunsch oder eine Bitte für das Neue Jahr?
Meine große Bitte an Gott und an Maria ist es, dass diese Erneuerung durch die Erfahrung der Gegenwart Christi und durch die Erfahrung der Erlösung und der Befreiung möglichst viele Menschen in der heutigen Zeit erreicht, damit in ihren Herzen die Liebe Christi erwacht, und sie nicht bloß dem Geld oder dem Konsum oder anderen Dingen nachlaufen, die ihre Werte beinhalten, aber nicht den Menschen erfüllen können, sondern dass sie Gott erfahren, Gott erkennen, Gott lieben lernen und zu Gott gelangen können.
Vielen Dank für Ihr Kommen, und wir hoffen, dass wir Sie wieder in Medjugorje sehen können!
Interview Bischof Klaus Küng